Als ich das erste Mal die Preisliste von Katie Yen in den Händen hielt, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus – ich fand Ihre Tees auf dem ersten Blick einfach sehr teuer. Das weckte die Neugierde in mir und ich wollte wissen, was es auf sich hat mit den Tees von Katie. Also habe ich mir eine Woche Zeit genommen, um alles über Oolong Tee zu lernen und Katie ein wenig über die Schulter zu schauen. Und natürlich um den zwei Schwestern ein wenig bei der Arbeit zu helfen.
Am ersten Tag fahren wir gleich gemeinsam zum Ching Xin High Mountain Teegarten. Eine Fahrt durch wunderschöne Berglandschaft bei herrlichem Wetter. Die Straße schlängelt sich im am steilen Hang entlang und der Blick gleitet über grün bewaldete, steile Berghänge.
Ich frage Katie nach der Größe Ihrer Teegärten. Sie lächelt und sagt: „Die Größe ist nicht wichtig, die Vielfalt ist wichtig für mich.“ Katie bewirtschaftet insgesamt sechs Teegärten. Sie liegen in verschiedensten Hangexpositionen und Höhenlagen: Von 400 Metern am Sonne Mond See bis zu 1.700 Metern in den hohen Bergen. Es werden insgesamt fünf verschiedene Kultivare angebaut: Jin Xuan, Four Seasons, Ching Xin, Ruby, auch bekannt als #18 und die wilden taiwanesischen Teebäume. Diese Vielfalt erlaubt es Katie eine breite Palette an handverarbeiteten, aufwendig hergestellten Spitzen Oolong Tees zu produzieren.
Wegen der Höhenunterschiede, der verschiedenen Kultivare und des Bio-Anbaus verteilen sich die Erntezeitpunkte über das ganze Jahr von März bis Oktober. Die Natur gibt hier den Takt vor. Große Maschinen sucht man in der kleinen Teemanufaktur vergeblich – alles wird mit viel Liebe und Sorgfalt per Hand gemacht.
Als wir an einem konventionellen Teegarten stehen bleiben sagt Katie zu mir: „Siehst du die Teepflanzen? Sie weinen! Vollgepumpt mit künstlichen Düngemitteln, Pestiziden und Unkrautvernichtern.“ Und tatsächlich, als wir in den High Mountain Teegarten von Katie ankommen, sehe ich, wie ernst es Ihr mit dem ökologischen Anbau ist: Der Teegarten ist durchsetzt von Gräsern und vielen bodennahen Pflanzen. Die Teepflanzen gedeihen prächtig und gehen hier Ihren eigenen Weg. Diese Art des Anbaus bedeutet mehr Arbeit: Das Pflücken ist beschwerlicher und auch die Ernte an Teeblättern fällt in etwa 50% geringer aus, als in konventionellen Teegärten.
Seit jeher bin ich begeistert von Katies Ching Xin High Mountain Oolong Tee. Und auch der Teegarten ist einfach wunderschön gelegen. Am zweiten Tage darf ich den ersten Tee des Jahres probieren – geerntet am 1. Mai 2018. Eine Aromaexplosion von Orchideen und tropischen Früchten betört meine Geschmacksnerven – der Tee ist der Hammer! Das ist das obere Ende der Fahnenstange, denke ich.
Katie lächelt über meine Vorliebe für die niedrig oxidierten Oolong Tees. Typisch Einsteiger eben. Sie selbst liebt die höher oxidierten und noch aufwendiger hergestellten Oolong Tees. Zugegeben man braucht etwas Zeit bis man geschmacklich dort ankommt. Es ist wie zum Beispiel bei klassischer Musik – ein Leihe hat zunächst keinen Zugang, doch wer sich auf die Reise begibt, der wird in höhere Sphären gelangen und vermutlich nicht mehr von dort zurückkehren.
Zunächst entdecke ich den Charcoal Oolong Tee als meinen neuen Lieblingstee. Der Dong Ding Oolong Tee als Basis wird mehrere Tage in einer Art Holzkohle-Meiler sanft geröstet. Das Ergebnis ist einfach umwerfend. Ich schmecke Noten von gutem Whiskey und Maronen.
Eine weitere Spezialität des Hauses ist der Aged Tree Tea. Die alten Teebäume sind ca. 50 bis 100 Jahre alt und stammen aus dem familieneigenen Teegarten. Die Teebäume werden nun schon in der vierten Generation gepflegt und bewirtschaftet. Der Teegarten am Sonne Mond See ist alles andere als eine Monokultur – hier wachsen Betelpalmen, Orangenbäume, Olivenbäume und die alten Teebäume nebeneinander. Entsprechend gut ist die Bodenqualität und das Blattgut der Teepflanzen. Dank des diversifizierten Anbaus kommen die Teepflanzen ohne Pestizide und künstliche Düngemittel aus.
Aber nun zum Tee selbst - Die Teeblätter werden ihrer Länge nach gerollt und leicht gezwirbelt. Sie sind von Natur aus größer, Katie oxidiert die Blätter auf ca. 80% - man kann also schon fast von einem Schwarztee sprechen. Das Aroma ist jedoch umwerfend – eine überwältigende Komplexität! Und das allerbeste – eine subtile Bitterkeit im Abgang. Ein wenig wie bei den Pu-Erh Tees vom Bulang Mountain im Yunnan, jedoch viel sanfter. Also definitiv auch für fortgeschrittene Einsteiger geeignet!
Ich habe zugegebener Maßen bisher meist einen großen Bogen um Schwarztees gemacht. Man könnte sagen Katie hat mich wieder ein wenig auf die rechte Bahn zurückgeführt: Der Sun Moon Lake Ruby Tee ist, genau wie der Aged Tree Tea 80% oxidiert, also schon fast ein Schwarztee. Der Geschmack ist tief und schwer – so tief wie ein spanischer Rioja Wein. Man braucht Übung für diesen Tee – doch wer sie hat wird seinen Spaß haben. Mir kommt der Tee inzwischen öfters in den Gaiwan und ich fange an richtig Spaß zu haben. Rioja auf taiwanesisch eben. ;)
Wir wünschen genussvolles Teetrinken!
Christian Beck