Auch wenn ich während meiner Zeit auf der Zhejiang Teeplantage in einem Hotelzimmer übernachte, dass mir JeZong freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, so bin ich doch täglich zum Abendessen bei ihm eingeladen. Es ist erstaunlich, wie es Mrs. Je gelingt, jeden Tag etwas anderes zu kochen, vor allem, weil ein typisch chinesisches Abendessen aus mindestens sechs verschiedenen Gerichten besteht. Schüsseln mit unterschiedlichen Fleisch-, Fisch- und Gemüsesorten wecken meine Neugier über die Zutaten und Geschmacksrichtungen dieser traditionellen Gerichte. Und so durfte ich, abgesehen von ein paar Kilos mehr, auch einige chinesische Rezepte ‚von Mrs. Je mit nach Hause nehmen.
Die vielen Abende, an denen wir alle möglichen Themen diskutierten, angefangen von der Kultur der Menschen verschiedener Kontinente bis hin zu Aspekten des biologischen Teeanbaus, verschafften mir einen höheren Einblick darüber, welche Prioritäten Chinesen im Allgemeinen in ihrem Leben setzen und Teebauern im Besonderen. Bis vor einigen Jahren exportierte China große Mengen grünen Tee nach Europa. Nachdem es jedoch die öffentliche Organisation, die für den Export verantwortlich war, nicht mehr gab, hatten kleine Teebauern keine Möglichkeit mehr, einen internationalen Markt für sich zu gewinnen. Wer weiß, was ihnen mehr Kummer bereitete: die finanziellen Einbußen oder die nicht mehr vorhandene Möglichkeit, das Produkt, auf das ganz China so stolz ist, mit anderen Nationen teilen zu können. Grüntee ist ein Bestandteil des täglichen Lebens, des täglichen Genusses, für die Chinesen das beste Geschenk und das wichtigste Getränk.
Wenn sich ein Teebauer dazu entschließt, seinen Tee biologisch anzubauen, stehen meist zwei Gründe hinter dieser Entscheidung. Der erste ist sein Entschluss, einen auf natürlichem Wege produzierten Tee zu verkaufen und der zweite, seinen Tee international vermarkten zu können. JeZong erklärt diesen Umstand so: “Wenn ein Teebauer den Menschen guten grünen Tee gibt, wird er respektiert. Gibt er diesen Tee vielen, vielen Menschen, wird er doppelt respektiert.”
In zwei Tagen schon muss ich meine Heimreise antreten, denn ich habe das Projekt für Teekenner bereits abgeschlossen. Heute habe ich einen Vortrag über die europäische Bio-Gesetzgebung für chinesische biologisch anbauende Kleinbetriebe gehalten. Es war wirklich schön zu erkennen, dass chinesische Bio-Teebauern eine klare Vorstellung von biologischem Teeanbau haben, andererseits aber auch darüber diskutieren, wie man die Effektivität der Teeherstellung in Bezug auf den Bio-Status steigern kann. Themen wie die Anzucht von Bio-Sämlingen für internationale Nutzung, die Erweiterung des Sortiments an natürlichen Düngemitteln, die Pflanzung weitere Wälder und Gärten rund um die Plantagen, um die Artenvielfalt zu steigern, die Gärten zu verschönern und die Abwehr gegen Krankheitserreger zu fördern, die Verringerung von Transportwegen, indem man die Produktionsstätten direkt neben die Plantagen baut, zeigen mir, wie viel Herzblut die Menschen in ihre Arbeit stecken und dass sie jede Gelegenheit nutzen, um das Unternehmen voran zu bringen.
Am Tag meiner Abreise besuchen wir noch einmal die Teeplantage. Es gibt keinen besonderen Grund, ich möchte mich nur verabschieden. Ich finde es ein wenig traurig, die kleine Teefabrik und die wunderschöne Plantage verlassen zu müssen. Mittlerweile kenne ich jeden Tian Mu Qing Ding Teestrauch und jede Ecke auf dem Feld und könnte jedem Besucher ausführlich vom Teeanbau auf dieser Plantage erzählen. Ich spaziere ein letztes Mal im Teegarten umher und mache Fotos von der Schönheit dieser Landschaft. Leider können Fotos keine Geräusche und Düfte wiedergeben, denn das ist es, was diese Umgebung zum Leben erweckt. Obwohl ich meine Heimat vermisst habe, werden mich meine Erinnerungen an die Natur und die Menschen immer wieder hierher zurückbringen.
Dies wird mein letzter Bericht sein. Das Flugzeug von Helsinki nach Stuttgart brachte mich nach Hause zurück. Trotz fast 16 Stunden Flug von Shanghai habe ich mir direkt am Flughafen noch eine Brezel und einen Milchkaffee gegönnt. Wer hätte gedacht, dass man ein so einfaches, deutsches Frühstück so vermissen kann? So sehr sich meine Familie freut, mich wieder bei sich zu haben, so neugierig sind sie auch zu erfahren, was ich über China und die Teeproduktion zu erzählen habe. “Hat es dir gefallen? Wie sind das Land und die Menschen dort? Wie arbeiten sie? Wie ist der Tee? Wird der wirklich biologisch angebaut?” Wie kann man darauf in drei Sätzen antworten, wenn man schon ein Dutzend Berichte darüber in seinem Blog geschrieben hat und es immer noch so viel zu sagen gibt? Allein um die Gastfreundschaft der Chinesen zu beschreiben bräuchte ich mindestens eine halbe Stunde!
Als ich meiner Familie auf chinesische Weise Mao Jian Tee zubereitet habe, den ich in China geschenkt bekommen hatte, und sie sich die vielen Fotos von der Plantage angesehen haben, wurden die Fragen weniger. Sie haben verstanden, dass Worte nicht ausreichen, um meine Erlebnisse an diesem so andersartigen Ort zu beschreiben.
Zwei Wochen ist es nun her, seit ich wieder in Deutschland bin. Ich bin in mein Alttagsleben zurückgekehrt und schon jetzt fühlt es sich an, als wären die sechs Wochen in China nur ein wunderschöner Traum gewesen. Aber eine Tasse mit frischem Tian Mu Qing Ding vor mir beweist, dass ich das alles wirklich erlebt habe.